Wenn wir an die Hanse denken, kommen uns schnell wohlhabende Kaufleute, imposante Speicherhäuser und reger Seehandel in den Sinn. Doch die Hanse war weit mehr als ein friedlicher Handelsbund. In ihrem Schatten agierten zwielichtige Gestalten, rivalisierende Städte, aufständische Bürger – und nicht zuletzt berüchtigte Piraten.
Klaus Störtebeker: Der Schrecken der Hanse
Kein Name ist so eng mit dem hanseatischen Piratenwesen verbunden wie Klaus Störtebeker. Er war Anführer der Likedeeler, einer Gruppe von Freibeutern, die im späten 14. Jahrhundert die Nord- und Ostsee unsicher machten. Ursprünglich von der Hansestadt Wismar oder Rügen stammend, soll Störtebeker Reichtum unter Armen verteilt haben – ein hanseatischer Robin Hood?
In Wahrheit war es wohl weniger romantisch. Die Likedeeler griffen hanseatische Handelsschiffe an, entführten reiche Kaufleute und lieferten sich blutige Kämpfe mit den Flotten der Hanse. Im Jahr 1401 wurde Störtebeker vor Helgoland gefasst und nach Hamburg gebracht – sein spektakulärer Prozess und die angebliche Hinrichtungsgeschichte („lief neun enthauptete Schritte, bevor er fiel“) machten ihn zur Legende.
Gödeke Michels – der brutale Bruder im Bunde
Neben Klaus Störtebeker war Gödeke Michels einer der bekanntesten Anführer der Likedeeler. Im Gegensatz zu Störtebeker, der in Legenden oft als edler Räuber beschrieben wird, galt Michels als deutlich rücksichtsloser – manche Quellen bezeichnen ihn sogar als brutalsten Piraten seiner Zeit.
Ursprünglich stammte er vermutlich aus Mecklenburg oder Westfalen. Gemeinsam mit Störtebeker kommandierte er eine Flotte von bis zu 20 schnellen Schiffen, die gezielt hanseatische Handelsrouten unsicher machten. Michels bevorzugte aggressive Taktiken: schnelle Überfälle, gezielte Geiselnahmen und rücksichtsloses Durchgreifen gegen jede Form von Widerstand.
Er war es auch, der Teile der Beute nutzte, um neue Schiffe auszurüsten und ärmere Matrosen für seine Sache zu gewinnen. Wie Störtebeker wurde auch Gödeke Michels 1401 gefangen genommen – allerdings möglicherweise erst einige Monate nach dessen Hinrichtung. Er wurde ebenfalls in Hamburg hingerichtet.
Gödeke Michels steht für die dunkle, ungeschönte Seite der Piraterie zur Hansezeit – ein Symbol für die raue Realität auf See, jenseits aller Romantisierung.
Jurgen Wullenwever: Der Bürgermeister im Aufstand
Während Störtebeker die Hanse von außen bedrohte, sorgte Jurgen Wullenwever im Inneren für Turbulenzen. Als Bürgermeister von Lübeck (1533–1535) versuchte er, die Stadt durch einen riskanten politischen Kurs zur alten Macht der Hanse zurückzuführen.
Er verbündete sich mit Dänemark-feindlichen Kräften und rüstete Lübeck für den Krieg – gegen den Willen vieler Bürger und Ratsmitglieder. Der sogenannte „Wullenweversche Aufstand“ scheiterte jedoch. Nach seiner Gefangennahme wurde Wullenwever 1537 öffentlich in Wolfenbüttel enthauptet.
„Interessant: Sein Fall gilt als frühes Beispiel für politische Intrigen und den Machtkampf zwischen Stadtregierungen und konservativem Kaufmannsadel in der Spätphase der Hanse.“
Likedeeler – Piraten mit Gleichheitsprinzip
Die Likedeeler – plattdeutsch für „Gleichteiler“ – waren eine Gruppe von Piraten, die sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts von den sogenannten Vitalienbrüdern abspalteten. Sie operierten vor allem in der Nord- und Ostsee und galten als erbitterte Feinde der Hanse. Ihr Name war Programm: Die Beute wurde zu gleichen Teilen unter allen Mitgliedern verteilt – unabhängig von Rang oder Herkunft. Das machte die Likedeeler vor allem für mittellose Seeleute und Abenteurer attraktiv.
Angeführt wurden sie unter anderem von Klaus Störtebeker und Gödeke Michels, zwei berüchtigte Piraten, die im Volksglauben teilweise zu Freiheitskämpfern verklärt wurden. In Wahrheit waren die Likedeeler skrupellos: Sie überfielen Handelsschiffe, plünderten Küstenorte und lieferten sich blutige Auseinandersetzungen mit den Flotten der Hanse.
Die Hanse reagierte hart: In Zusammenarbeit mit Fürsten und dem Deutschen Orden wurde gezielt Jagd auf die Piraten gemacht. Viele von ihnen wurden hingerichtet – oftmals öffentlich zur Abschreckung. Doch die Geschichten und Legenden rund um die Likedeeler leben bis heute fort – nicht zuletzt durch Theaterstücke, Festivals und Denkmäler in Norddeutschland.
Die dunkle Seite der Handelsherren
Auch die ehrbaren Kaufleute der Hanse agierten nicht immer sauber. Absprachen zur Preisbildung, Ausschluss konkurrierender Städte vom Handel oder bewusste Marktmanipulation waren gängige Praxis.
Im 14. Jahrhundert versuchten etwa die Kaufleute aus Lübeck und Hamburg, ihren Einfluss auf die Ostseeregion auszubauen, indem sie kleinere Städte wie Stralsund oder Greifswald wirtschaftlich unter Druck setzten. Manche Verträge wurden nur mündlich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschlossen – Transparenz war kein hanseatisches Ideal.
Intrigen zwischen den Hansestädten
Obwohl die Hanse ein Bündnis war, war sie kein friedliches Kollektiv. Zwischen Städten wie Lübeck, Köln, Danzig und Braunschweig kam es immer wieder zu Spannungen. Fragen wie:
– Wer darf welche Waren exportieren?
– Welche Stadt bekommt Vorrang bei Handelsrechten?
– Wer bestimmt über den Hansetag?
Diese internen Rivalitäten führten zu Spaltungen und schwächten langfristig die Organisation – ein Grund für den langsamen Niedergang der Hanse im 16. Jahrhundert.
Fazit: Die Hanse – nicht nur Glanz und Gloria
Hinter der beeindruckenden Fassade der Hanse verbirgt sich ein faszinierendes Geflecht aus Macht, Gier, Mut und Verrat. Piraten wie Störtebeker, Rebellen wie Wullenwever und skrupellose Handelsherren prägten die Geschichte mindestens genauso wie ehrbare Kaufleute und gotische Speicherhäuser.